Dr. Matias Langer gründete 2011 das Unternehmen Seidentraum, das seit 2014 auch Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien ist. Im Interview mit modefairarbeiten spricht er über Naturtextilien, sein Projekt „Meghalaya Peace Silk“ und die Arbeit mit Frauen in einer matrilinearen Gesellschaft.
Sie sind schon früh in den Kontakt mit Naturtextilien gekommen – unter anderem durch eine leitende Tätigkeit in einem Naturtextilien-Versandhaus. Woher kommt ihr Interesse an ökologischer Produktion?
Das kam durch die Geburt meiner Kinder. Man fragt sich in dieser Situation, wie man sich ernähren und kleiden will. Und dadurch kam auch das Interesse an Naturtextilien, bzw. dieses Wort „Naturtextilien“ gab es damals ja noch gar nicht. Damals hieß das einfach Baumwolle ungebleicht oder Wolle unbehandelt. Und aus diesen Überlegungen heraus entstand dann der Naturtextilhandel. Das war auch die Zeit als hessnatur groß wurde. Da gab es noch kein Internet. Deswegen haben wir dann die ersten Kataloge mit einem Nasskopierer vervielfältigt [lacht].
Welche Ausbildung haben Sie? Wurden der sorgsame Umgang mit der Erde sowie der Respekt vor anderen Menschen und ihrer Arbeit in Ihrem Studium behandelt?
Ich habe Physik und Geografie studiert und habe dann noch eine Waldorflehrerausbildung gemacht. Da habe ich dann auch viel Spinnen und Weben unterrichtet. Ökologie gab es damals noch gar nicht im Hochschulbereich, weder als Fach noch als Studiengang. Das kam alles erst viel später.
2011 gründeten Sie Seidentraum in Leipzig – ein Unternehmen mit Fokus auf Herstellung und Vertrieb von Textilien aus Bioseide bzw. Ahimsaseide oder non-violent silk. Wie kam es zu dieser Spezialisierung?
Ich traf auf der Grassi-Messe, eine Kunsthandwerksmesse des gleichnamigen Museums, eine indische Designerin, die dort einen Stand hatte. Sie verkaufte wunderschöne Bandhani-Seidenschals. Bandhani ist eine Art Batiktechnik. Das machen noch ein, zwei Handwerkergemeinschaften in Indien, in Gujarat und Rajasthan. Dabei werden sehr feine Muster mit kleinen Fäden abgebunden und dann gefärbt. Das fand ich sehr faszinierend und fing an, diese Bandhani-Seidenschals zu vertreiben. Dabei hat mir meine Erfahrung aus der Naturtextilzeit sehr geholfen. Bio-Baumwolle war mittlerweile in der Gesellschaft angekommen und ich habe mich gefragt, ob es auch Bio-Seide gibt. Ich informierte mich über das Internet und bin auf ein Projekt in China gestoßen: Dort haben Firmen aus China und der Schweiz vor fast 20 Jahren ein biologisch-dynamisches Seidenzuchtprojekt in Sechuan aufgebaut. Später bezog ich die Seide von einer familiengeführten Weberei aus der Schweiz. So entstand der Seidentraum wie es jetzt ist.
Ihr neues Projekt „Meghalaya Silk“ umfasst den Aufbau einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Textilproduktion in Meghalaya (=Heimat der Wolken) – ein ehrgeiziges Ziel. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie?
Im Moment läuft alles wie am Schnürchen. Der Handweber Andreas Möller, der Webstühle für Entwicklungsländer konstruiert, war gerade erst vor Ort und hat dort den ersten „Flying8 Webstuhl“* gebaut. Er war sehr begeistert von der Offenheit und der Akzeptanz, die die Weberinnen hatten – da das eine spannende Sache war und auch bleiben wird, inwieweit die Weberinnen diese neue Technologie akzeptieren würden. Vielleicht sitzen sie lieber auf dem Fußboden und arbeiten mit den traditionellen Bodenwebstühlen. Aber im Moment macht es nicht den Eindruck. Eine weitere Frage ist, ob die Qualität an Garnen, Stoffen und Damenoberbekleidung (DOB) produziert werden kann, die wir in Europa vermarkten können. Wir gehen aber davon aus, dass wir das Label „Meghalaya Silk“ aufbauen können und es hoffentlich dann auch zum Qualitätsbegriff wird.
Wie ist das Interesse der Menschen vor Ort, nachhaltig und mit bestimmten Sozialstandards zu produzieren?
Das Interesse ist groß, da sie unter dem Klimawandel leiden und einiges an landwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht mehr so gut möglich ist, wie die Fischzucht zum Beispiel. Deswegen sind sie sehr froh, dass wir in die Ahimsa-Seidenproduktion intensivieren.
Meghalaya ist ein Staat im Nordosten Indiens mit einer matrilinearen** Gesellschaftsform – wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den Frauen aus Meghalaya?
Es ist schwierig zu vergleichen, da der kulturelle Unterschied sehr groß ist. Alles was das Weben, Spinnen, Färben und die Verarbeitung von Stoffen betrifft, wird zu 90- 95 % von Frauen ausgeübt. Männer sieht man auf der Straße kaum. Zu Absprachen trifft man sich ebenfalls mit den Frauen. Und diese sind sehr stolz auf ihre Frauengesellschaft. Im Bereich der Verwaltung sind viele Posten aber auch mit Männern besetzt. Es ist also nicht matriarchalisch, dass Männer keine führenden Stellen annehmen könnten, sondern eben matrilinear. Den Frauen gehören Haus, Hof, Felder und Geld. Sie haben für die Familie zu sorgen und jeweils die jüngste Tochter einer Frau übernimmt dieses Amt von ihrer Mutter. Wenn ein Mann heiratet, zieht er zu seiner Frau, und wenn er sich scheiden lässt, muss er wieder ausziehen.
Um den Frauen die innovativen Techniken in den Feldern Spinnerei, Färberei und Weberei zu vermitteln und um die Qualitätsstandards zu heben, haben Sie fünf Arbeitspakete erstellt. Nach welchen Gesichtspunkten werden die Lehrinhalte der drei Felder ausgewählt? In welcher Form werden die Techniken vermittelt?
Wir haben uns entlang der textilen Kette orientiert – zuerst das Spinnen, dann das Färben und dann die Weberei. Die Situation beim Spinnen ist die, dass in der Hauptsache noch mit der Hand gesponnen wird. Da war natürlich der Ansatz, dass wir effektivere Methoden einführen möchten, die dann auch gleichzeitig den Qualitätsstandard heben. Das erreichen wir durch die Einführung eines Handspinnrades. Aber keine Flügelspinnräder, sondern fußgetriebene Ringspinnräder – eine Erfindung einer der Frauen aus Meghalaya. Die wollen wir bauen und die Frauen darauf trainieren, dass sie damit umgehen können.
Planen Sie eine Zertifizierung für die dort gefertigten Produkte?
Also grundsätzlich ist mir Transparenz sehr wichtig. Ich möchte wissen, woher die Produkte kommen und unter welchen Bedingungen die Menschen dort gearbeitet haben. Das war bisher meine Philosophie und das kommt bei meinen Kunden auch gut an. Wir waren zwei Jahre GOTS-zertifiziert, haben uns aber letztlich dagegen entschieden, weil es kaum nachgefragt wurde und eine Zertifizierung zudem mit viel Bürokratie und hohen Kosten verbunden ist. Es gibt eine Reihe weiterer Zertifikate, über die wir uns zusammen mit anderen NGOs Gedanken machen: Eine Möglichkeit wäre Silk Mark, das ist das gängige Zeichen, das echte Seide aus Indien zertifiziert. Außerdem könnte ich mir auch das Fairtrade-Siegel gut vorstellen, da die Produktionsbedingungen auf jeden Fall den Anforderungen entsprechen. Oder das Handloom Certificate aus Indien.
Was wünschen Sie sich für das Projekt bzw. welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Wir möchten, dass die Weberinnen zu einer gewissen Kontinuität kommen. Sie schreiben sich keine Färberezepte auf und mixen jedes Mal alles neu. Schön wäre es, wenn eine Reproduzierbarkeit möglich wäre, weil dadurch auch eine viel bessere Qualität zu Stande kommt. Mein Interesse ist es, dass ich einen Überblick habe, was in welcher Weise entsteht. Also welche Garne und welche Stoffe in welchen Farben und später dann, auch wenn das jetzt noch ein bisschen Zukunftsmusik ist, die aber im Projekt miteingeplant ist, welche Damenoberbekleidung in einfachen Schnitten aus den Stoffen gefertigt werden kann: T-Shirts und ganz einfache Kleider, Heimtextilien usw. Mir ist wichtig, dass gerade die mehrwertschaffenden Teile der textilen Kette in Meghalaya stattfinden.
Vielen Dank für das Gespräch!
*Flying8 Webstuhl: Dieser Webstuhl wurde speziell für Weber_innen entwickelt, die keinen Zugang zur Elektrizität haben. Weitere Vorteile sind die geringe Lärmbelastung sowie die Anpassbarkeit des Webstuhls an die Körpergröße des Webers. Außerdem betragen die Investitionskosten gerade einmal ca. 200 € – all diese Eigenschaften prädestinieren den Webstuhl zum Einsatz in Ländern des globalen Südes. Erfinder dieses Webstuhles ist Andreas Möller, Handweber aus Hamburg.
**Matrilineare Gesellschaftsform: In einer matrilinear geprägten Gesellschaft erfolgt die Vererbung von Besitz wie auch von sozialen Eigenschaften (Ansehen, Ämter…) nur innerhalb der weiblichen Linie, also von Mutter zu Tochter.
Fotos: Quelle Seidentraum