Trendbewegung Circular Fashion? Industrielles Upcycling am Beispiel des Zertifizierungssystems von REET AUS

Schreibe einen Kommentar
Design Interview Upcycling
© by Lennart Laberenz

Wenn man sich mit Kreislaufwirtschaft auseinandersetzt, geht es vorrangig um die effiziente Nutzung von Ressourcen und die Verwertung von Abfällen. Doch spielen auch soziale Kriterien eine Rolle? In einem Interview hat uns die estnische Designerin Reet Aus erzählt, wie ihr Zertifizierungssystem UPMADE® die konventionellen Prozesse der Modeindustrie revolutioniert.

„Es ist das Jahr 2035 und ich lebe. Ich bin sogar glücklich. Vor allem, weil ich den richtigen Moment gewählt habe, um mit dem Nachdenken aufzuhören und begonnen habe zu handeln. Und ich tat es bevor es mit der Welt, wie wir sie kannten, zu Ende ging. Es gab keinen großen Krieg oder ein Erdbeben. Nach und nach wurden Waren nicht mehr gegen Geld eingetauscht, Banken verbarrikadierten ihre Türen und das Leben in den Städten wurde durch kleine Gemeinschaften ersetzt, die sich selbst mit autonomer Elektrizität, Telekommunikation, dezentralem E-Geld und landwirtschaftlichen Systemen versorgten. Das war nicht das Ende der Welt oder eine große Revolution oder sonst etwas Dramatisches.“

In ihrem Lookbook prophezeit Reet Aus einen allmählichen Systemwandel. Dabei spielt auch ihr eigenes Handeln eine Rolle. Seit 2002 nutzt sie die Methode des Upcyclings für die Erstellung ihrer Kollektionen. Für Reet Aus keine drastische Veränderung – im Gegenteil: Schon als Kind schaute Sie ihrem Großvater bei der Arbeit an Skulpturen zu, in denen jedes kleine Überbleibsel verwendet wurde und begann ihre Kleidung aus den alten Kleidern ihrer Großtante zu nähen.

Nach dem Modestudium promovierte Reet Aus, um sich intensiver mit den Möglichkeiten des Upcyclings auseinanderzusetzen. Das industrielle Upcycling von Produktionsabfällen wurde dabei zu ihrem wichtigsten Forschungsfeld auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft.

Langlebigkeit statt geplanter Obsoleszenz

Die Circular Economy strebt eine Verlängerung der Lebensdauer von Produkten an und bezieht auch die Entsorgung in die Produktentwicklung mit ein. Im Idealfall entsteht so kaum Abfall, da die Produkte nicht wie in der linearen Wirtschaft entsorgt werden, sondern als Rohstoff erneut in die Produktion eingehen können. So werden weniger Energie in den Abbau investiert und Ressourcen geschont.

Gerade in der Modeindustrie findet klassischerweise die geplante Obsoleszenz ihre Anwendung. Der Lebenszyklus der Produkte wird künstlich verkürzt, um die KundInnen zu mehr Konsum anzuhalten und somit die Gewinne zu maximieren. Doch allmählich findet auch hier ein Umdenken statt: Immer mehr Modeunternehmen versuchen auf kreislaufförmige Modelle umzustellen, da auch sie mit den so lange vernachlässigten Umweltkosten, in Form von Ressourcenknappheit und Umweltkatastrophen, konfrontiert werden.

Biologisch abbaubare Materialien, Recyclingfasern aus gebrauchten PET-Flaschen oder Plastik aus den Weltmeeren finden ihre Anwendung bei Marken wie Vivienne Westwood, Stella McCartney oder Adidas. Auch Wolle oder Baumwolle wird von Labels wie Reverso (Produktionsabfälle) oder Wool and the Gang (Postkonsum) wiederverwertet. Pioniere der Kreislaufwirtschaft wie MUD Jeans versuchen in einem ganzheitlichen Modell, durch Leasing, Up- und Recycling sowie spezielles Design den Abfall und den Bedarf an neuen Rohstoffen möglichst klein zu halten. Ebenfalls große Brands wie Levi’s ziehen nach und bieten KonsumentInnen in ausgewählten „Tailor-Shops“ die Möglichkeit, alte Levi’s Kleidung zu reparieren oder mit Patches, Nieten oder Stoffresten zu personalisieren und aufzuwerten.

Reet Aus hat sich auf die Verwertung industrieller Abfälle spezialisiert und bietet mit UPMADE® ein Zertifizierungssystem, das auch anderen Unternehmen zur Verfügung steht. Durch die Verwendung von Textilresten, von denen in der Produktion bis zu 25% anfallen, können so Ressourcen und Kosten gespart werden. Das Label kooperiert mit dem Textilunternehmen Beximco in Bangladesch, das als Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation regelmäßig auditiert wird. Welche Rolle Arbeitsrechte im UPMADE®-System spielen und inwiefern dieses eine transparente Darstellung sozialer Kriterien garantiert erfahrt ihr in unserem Interview.

Reet Aus hat uns dazu ein paar Fragen beantwortet…

Mit Deinem Label REET AUS hast Du verschiedene industrielle Upcyclingmethoden entwickelt. Wie kam es dazu und was bedeutet „industrielles Upcycling“ genau?

Ich habe früh in meinem Leben als Designerin verstanden, dass die Produktion von Bekleidung nicht nachhaltig ist und begann Probleme in der Industrie aufzuzeigen. Mein Ziel war es, Kleidung zu produzieren, die keinen negativen Einfluss durch die Produktion hat. Das brachte mich dazu, mehr über die Umweltprobleme und den Abfall der Textilindustrie herauszufinden. Die Entsorgung textiler Abfälle ist eine Grauzone der Textil- und Modeindustrie – niemand möchte Verantwortung übernehmen – und so wird dies zu einem der größten Probleme. Es gibt Industrieabfälle und Abfälle der KonsumentInnen, doch es fehlen gute Lösungen: Industrielles Upcycling ist der effizienteste Weg um den Abfall zu reduzieren. Man geht in die Fabriken und benutzt die Reste der alten für die neue Produktion. So wurde UPMADE® geboren: Um den Fabriken dabei zu helfen, keinen Abfall mehr zu produzieren.

© by REET AUS

UPMADE® ist ein Prüfsystem für Upcycling und Kreislaufwirtschaft, das es seit 2014 gibt. Worum handelt es sich dabei genau und wie funktioniert es? Können auch andere Unternehmen davon profitieren und es vielleicht sogar in einem größeren Maßstab verwenden?

UPMADE® bietet volle Transparenz in der Produktion bis zur Entsorgung der Abfälle und den Auswirkungen auf die Umwelt. Das Konzept ermöglicht Unternehmen 10-18% mehr Produkte aus den bestellten Stoffen herzustellen. Im Moment produziert die Industrie 18-40% Abfall. Durch die Einführung des UPMADE®-Systems in die Produktion können Modemarken abfallfrei werden.

In Deinen Kollektionen wird Upcycling in den frühen Phasen der Massenproduktion durchgeführt. Das hat einen großen Einfluss auf die Umwelt: Jeder Artikel, der auf diese Weise produziert wird, verbraucht durchschnittlich 70% weniger Wasser und 88% weniger Energie als herkömmliche Massenartikel. Upcycling beschäftigt sich daher in erster Linie mit ökologischen Fragen. Wie gehst Du mit sozialen Aspekten um?

Die Fabriken müssen Sicherheit und Hygiene, einen fairen Lohn und faire Arbeitsbedingungen garantieren. Des Weiteren soll die Herstellung der Upcycling-Produkte mit den Kriterien der Ethical Trading Initiative (ETI) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vereinbar sein.

Der Mindestlohn liegt häufig weit unter dem Existenzminimum. Erhalten die Arbeiter und Arbeiterinnen in Deinen Fabriken einen existenzsichernden Lohn? Welche Strategien hast Du entwickelt, um dies zu gewährleisten?

Da wir unsere eigene zertifizierte Fertigung innerhalb der Fabrik haben, kennen wir jede Arbeiterin und jeden Arbeiter. Wir besuchen unsere Fabriken jedes Jahr.

Warum konzentrierst Du dich auf den Abfall, der bereits während der Produktion entsteht? Inwieweit werden die textilen Abfälle nach dem Konsum berücksichtigt?

Es gibt viele Probleme in der Textilbranche. Als Designerin kann ich mit vorhandenen Materialien an der Lösung mitwirken. Upcycling ist eine Entwurfsmethode, die es ermöglicht, dies ohne große Investitionen in neue Ausrüstung zu tun. Es ist eine clevere und effiziente Art, Produkte herzustellen, die keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben. Um Post-Konsum-Abfall zu verwenden, ist Recycling nötig. Dabei dreht es sich um Materialentwicklung, Investitionen, neue Maschinen usw. Ich bin Designerin, keine Materialtechnologin.

Welche Rolle spielt Upcycling bei der Entwicklung einer nachhaltigeren Modebranche?

Upcycling spielt eine sehr große Rolle: Es geht um Abfallvermeidung. Darüber hinaus ist die Methode ein Teil der Kreislaufwirtschaft. Ohne Upcycling kann es keinen Kreislauf in der Modeindustrie geben.

Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.


Anmerkung:
Der Fragebogen und die Antworten wurden für den Blog vom Englischen ins Deutsche übersetzt.

Fotos:
© REET AUS

Quellen:
Lookbook:
https://issuu.com/reetaus/docs/reetlookbook_january2017_prew
Produktionsabfälle:
https://reverseresources.net/news/how-much-does-garment-industry-actually-waste
Einsparungen UPMADE®:
https://www.upmade.org/case-studies


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.