Nach dem Interview mit Nadja Kulikowa und Johanna Kruse, die auf der Konferenz FAIR FASHION works die Ergebnisse ihrer Masterarbeit vorgestellt haben, möchten wir von Norbert Henzel, Dozent an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg, wissen, wie er seine Lehre gestaltet. Er beschäftigt sich seit Jahren mit fairer und umweltschonenender Mode sowie Kleiderkonsum und hat beobachtet: Es gibt immer mehr Studentinnen und Studenten, die sich für diese Themen interessieren.
Wie heißen Sie, wo und was lehren Sie? Was ist aktuell Ihr Forschungsschwerpunkt?
Mein Name ist Norbert Henzel, ich arbeite an der Carl von Ossietzky Universität im Institut für Materielle Kultur. Materielle Kultur schließt alles ein, was der Mensch erschaffen hat. Wir sind auf Bekleidung des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisiert mit dem Schwerpunkt auf Jugendmode. Ich verfolge ein Langzeitforschungsprojekt seit über 15 Jahren: Ich habe eine Lehrveranstaltung, in der die Studierenden ihren gesamten Bekleidungsvorrat analysieren und reflektieren müssen und das möchte ich gegen Ende meiner universitären Laufbahn auswerten, um zu prüfen, wie sich die Einstellung zum Kleiderkonsum und zum Thema Nachhaltigkeit im Laufe einer Generation – also innerhalb von etwa zwanzig Jahren – geändert hat.
Wie werden die Themen wie Sozialstandards und Menschenrechte im Rahmen Ihrer Seminare behandelt?
Mein Arbeitsschwerpunkt ist das Thema Nachhaltigkeit; wir haben einen sogenannten multiperspektivischen Ansatz auf die materielle Kultur – wir forschen durch die Brille der Kulturwissenschaft, die der Nachhaltigkeit und die der Vermittlung – denn Oldenburg liegt in Niedersachsen und dort gibt es das Unterrichtsfach textiles Gestalten. In den Seminaren, die ich zum Thema Nachhaltigkeit anbiete, spielen die Themen Sozialstandards und Arbeitsbedingungen immer eine Rolle. Oft ist es nicht der zentrale Fokus, z.B. wenn es um Schadstoffe in Textilien geht, aber für mich bedeutet Nachhaltigkeit nicht nur, dass man nach den Schadstoffen guckt, sondern auch nach den Sozialstandards. Wenn man Bekleidung nach hohen Sozialstandards herstellt, sollte man nicht mit einer Ausrüstung arbeiten, welche die Arbeiter_innen in den Fabriken vergiftet. Das gehört für mich immer zusammen. Ich versuche das den Student_innen am Beispiel von Schokolade zu verdeutlichen: eine Schokolade darf nicht nur Bio-Schokolade sein oder nur FairTrade-Schokolade, sondern sie muss beides sein.
Wie reagieren die Studierenden darauf?
Hm, vielen ist nicht klar, unter welchen Bedingungen ihre Kleidung hergestellt wird. Eine Studentin, die im letzten Semester ihre Kleiderschrankrecherche gemacht hat, hat darin 80% PRIMARK gefunden – sie ist ein großer Fan der Marke und hofft, dass PRIMARK demnächst nach Oldenburg kommt – eine entsprechende Immobilie gibt es schon in der Innenstadt, aber PRIMARK will dort nicht einziehen. Viele Studierende kaufen bei Massenproduzenten ein, aber ich erlebe bei vielen zum Ende des Studiums, dass sich ein gewisses Bewusstsein entwickelt und sie zumindest ihren Konsum runterschrauben. Argument ist immer, die Kleidung sei zu teuer. Aber sie sehen nicht, dass sie in der Regel langlebiger ist und man so im Einkauf am Ende Geld sparen kann. Dann wird der nachhaltigen Mode oft vorgeworfen, dass sie nicht modisch sei. Deswegen nehme ich Studierende gern mit nach Berlin zur Ethical Fashion Show, damit sie sehen, dass ihre Vorurteile nicht stimmen.
Und das funktioniert?
Bei den meisten Studierenden schon. Manchmal höre ich auch in den Seminaren, ich würde die schönen Seiten der Mode kaputt machen und wäre zu einseitig. Diese Studierenden zu erreichen ist schwierig, sie sitzen vermutlich nur wegen der Credit Points in meinen Seminaren.
Also sind das keine Pflichtveranstaltungen?
Ich biete nur eine einzige Pflichtveranstaltung an, die alle Student_innen belegen müssen: Einführung in die Textilökologie. Da geht es um die Grundlagen. Je nachdem, ob Materielle Kultur als Erst- oder Zweitfach studiert wird, müssen die Student_innen nur diese Pflichtveranstaltung belegen oder können unter verschiedenen Seminaren wählen bzw. müssen mit Erstfach sogar alle meine Seminare belegen. Außerdem biete ich Module im Professionalisierungsbereich an, die von allen Studierenden der Universität Oldenburg belegt werden können: In meinen Kursen habe ich auch schon Mathematiker und Computerwissenschaftler unterrichtet, die sich mit Nachhaltigkeit und Mode auseinandergesetzt haben.
Was können die Absolvent_innen Ihres Studienganges auf dem Gebiet bewirken?
Sie können z.B. bei Nichtregierungsorganisationen wie FEMNET arbeiten, eine Studentin hat da kürzlich ein Praktikum absolviert. Eine andere hat in Berlin loveco eröffnet – es ist ein Geschäft für vegane Mode unter Berücksichtigung von Umweltaspekten. Dann gibt es Studierende, die im Journalismus landen. Oder sie finden eine Stelle bei Unternehmen wie Vaude, die Wert auf Nachhaltigkeit legen. Eine Studierende hat in der Nachhaltigkeitsabteilung von Vaude gearbeitet, weil sie im Studium die entsprechenden Kompetenzen erworben hat.
Wir präsent finden Sie das Thema „Faire Kleidung“? Wie könnte man es präsenter machen?
Ich beobachte die Presse schon lange und werte diese mit den Student_innen aus. Rana Plaza war quasi eine Brechstange, um dieses Thema als Bezugspunkt in die Presse zu bringen und zu halten, weil das für viele eine wirklich unvorstellbare Katastrophe war, an der auch deutsche Unternehmen direkt beteiligt waren. Wenn man die Presse studiert, dient Rana Plaza oft als Einstieg in einen Artikel, wenn es um Sozialstandards und generell auch um das Thema Nachhaltigkeit in der Mode geht. So schlimm diese Katastrophe für die einzelnen Menschen war, es hat in Deutschland das Bewusstsein geschärft. Ich komme aus Berlin und lese dort den Tagesspiegel. Dort sehe ich, dass das Thema Mode generell aufgewertet wurde. Einmal im Monat widmet die Zeitung dem jetzt eine ganze Seite. Und zwar samstags – dem auflagestärksten Tag. Nachhaltigkeit spielt inzwischen auch auf diesen Seiten eine Rolle. Auch Tagungen wie FAIR FASHION works! dienen nicht nur dem Gedankenaustausch, sondern tragen dazu bei, dass das Thema weiter in der Öffentlichkeit bleibt.
In der Wissenschaft findet auch ein Umbruch statt: Wir haben Studierende, die mit einem großen Vorwissen an die Universität kommen und das dort vertiefen wollen. Die wählen daher gezielt unseren Studiengang. Eine Studierende betreibt seit Jahren einen Blog und hat schon viele Follower. Durch Kommentare im Blog hat sie die Debatte verfolgt und möchte sich jetzt mehr der Nachhaltigkeit widmen.
Also sind Sie der Meinung, dass es insbesondere durch die Presse in die Wissenschaft Einzug findet?
Ich beobachte die Szene seit bald 25 Jahren. Zur Zeit der ersten Öko-Welle hat z.B. Britta Steinmann eine Öko-Kollektion auf den Markt gebracht hatte und ist damit grandios gescheitert. Um die Jahrtausendwende ist der Markt stetig gewachsen, die Modebranche ist darauf eingestiegen und in vielen Ausbildungsstätten ist das Thema bereits angekommen – mehr oder weniger. An der ESMOD wird der Masterstudiengang „Sustainability in Fashion“ angeboten. Dort werden Modedesigner ausgebildet, denen das Thema am Herzen liegt. Das ist ein gutes Zeichen. Hoffe ich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Aika-Maresa Fischbeck.