Drei Monate absolvierte Studentin Clara Hanfland (Kultur- & Politikwissenschaft, Uni Leipzig) ein Praktikum im indischen Bangalore bei der FEMNET-Partnerorganisation Cividep und erzählt hier, was sie dort erlebte – vor allem half sie bei einer Studie zum Thema Mutterschutz in der Textilindustrie, eine Detektivarbeit. In Teil II erzählt sie, was sie besonders beeindruckt und was sie über die Lebensrealität der Arbeiter_innen erfahren hat.
Mich beeindruckt immer wieder die Hartnäckigkeit meiner Kolleginnen und Kollegen von Cividep, mit der sie seit mehr als einem Jahrzehnt nachhaltige Strukturen aufbauen und sich allen Schwierigkeiten zum Trotz kontinuierlich für eine drastische Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie einsetzen. In der Studie zum Thema Mutterschutz habe ich unter anderem am Fragebogen mitgearbeitet und Recherchen über große in Deutschland ansässige Fast‐Fashion-Betriebe durchgeführt. Dabei habe ich viel über die problematischen und langen Produktionswege der Mode, Gewerkschaftsarbeit und vor allem die Lebensrealität der Arbeiter_innen vor Ort gelernt – von deren Ausbeutung auch ich durch meinen Konsum immer wieder profitiere.
Der einzige verständlicherweise quasi unzugängliche Bereich für eine ausländische Praktikantin wie mich ohne Sprachkenntnisse sind Erhebungen mit Arbeiter_innen. Durch die Sprachbarriere und die durch Äußerlichkeiten bedingte Unmöglichkeit eine unauffällige Teilnehmerin zu sein, ist verständlicherweise die Gefahr von verzerrten Ergebnissen in der Regel einfach zu hoch.
Glücklicherweise konnte ich aber an Erhebungen eine andere Studie Civideps durchführen: Ich interviewte Manager_innen in Zuliefererbetrieben großer Elektronikhersteller im Nachbarstaat Tamil Nadu und habe so gute Einblicke in die Datenerhebung im Feld erhalten.
Wie kann es besser werden?
Ich bin davon überzeugt, dass Transparenz in den Zuliefererketten global agierender Unternehmen der schnellste und effizienteste Schritt zur Besserung ist, um unabhängigen Organisationen, Gewerkschaften und Forschung Zugang und Kontrolle zu ermöglichen. Den nächsten Schritt können lokale wie internationale Regulierungen zu Herstellung, Arbeitsbedingungen, Gewerkschaften oder Importbedingungen darstellen – doch wie das Beispiel der Kinderbetreuung in Fabriken deutlich macht, zeigen diese oftmals in der Praxis nur wenig Wirkung. Global agierende Unternehmen müssen also zudem massiven Druck von Konsument_innen, Politik, Zivilgesellschaft und NGOs erhalten, bis sie ihre auf reinen Profit ausgelegten Strategien ändern und ihre Zulieferbetriebe enger auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen hin kontrollieren. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Ort für Austausch
Um die Situation von Arbeiter_innen vor Ort direkt zu verbessern und lokale Gewerkschaften zu unterstützen, liegt Civideps zweiter Schwerpunkt neben Recherchearbeiten im Bereich Community Organizing. In sogenannten „Workers Resource Centers“ finden Arbeiter_innen einen sicheren Raum für Austausch, Beratung, Computernutzung, Bildungsangebote, Theater- und Musikgruppen oder auch einfach nur einen Chai (Tee) nach der Arbeit.
Cividep unterhält mehrere Räume in verschiedenen Städten, je nach Industriesektor ausgerichtet. In ihnen arbeiten Feldkoordinator_innen der NGO mit den jeweiligen Gewerkschaften zusammen, um die Bedürfnisse der Arbeiter_innen sondieren, zu unterstützen und neue Mitglieder zu gewinnen. In einem Land wie Indien, in dem gewerkschaftliche Arbeit noch immer von vielen Einschränkungen und Rechtsbrüchen behindert wird, ist das nicht zu unterschätzen. Oftmals sind Arbeiter_innen nämlich die zahlreichen Rechtsverstöße, die sie erleben, überhaupt nicht bewusst – sie haben sie vielmehr als Teil ihrer Realität hingenommen und hinterfragen sie nicht. Sprach-, Geschlechts- und kulturelle Barrieren zwischen lokalen und migrantischen Arbeiter_innen tragen zusätzlich zu einer starken Fragmentierung unter den Belegschaften bei. Orte, wie Cividep sie bietet, können daher einen Raum darstellen, in dem sie sich über diese Benachteiligungen austauschen und bewusstwerden können, um sich im besten Fall als eine gemeinsame Gruppe dagegen zu organisieren.
Alltag im bunten Indien
Und ansonsten? Irgendwo bin ich einmal über eine sehr treffende Beschreibung des Kontinents gestolpert: Indien ist ein Land, dessen Bevölkerung in völlig verschiedenen Zeiten lebt. Auf entlegenen Dörfern gibt es Farmer, deren Leben sich ohne Strom-, Wasser‐ oder Gesundheitsversorgung an Praktiken des europäischen 18. Jahrhunderts orientiert. Im Gegensatz dazu organisiert sich die aufstrebende Mittel‐ und Oberschicht Bangalores den Alltag durch Apps und fährt mit dem Taxidienst Uber durch die Stadt. Das Spektrum zwischen diesen beiden Extremen ist groß mit vielen Grauzonen. Eins ist allen Gruppen gemeinsam: Sie haben kaum tiefergehenden Kontakt zueinander und leben ihre so unterschiedlichen Formen von Alltag meist getrennt voneinander. So sehr ich Indien mit seinen vielen Farben, Symbolen, Praktiken und seiner großen Freundlichkeit auch genieße, so schwierig finde ich den Umgang mit diesen starken Klassenunterschieden und dem überdeutlichen Stadt‐Land‐Gefälle.
Es hinterlässt immer noch ein bizarres Gefühl, Kinder auf der Straße schlafen zu sehen und gleichzeitig in einem Zimmer zu schlafen, das täglich eine sogenannte Maid putzt. Die Arbeit mit Cividep hat mir geholfen, einen Umgang mit diesen Spannungsverhältnissen zu finden und die unsichtbaren Grenzen zwischen verschiedenen Milieus zumindest ansatzweise zu überwinden.
In Teil I erzählt Clara Hanfland, warum sich die Studie zum Thema Mutterschutz in der Textilindustrie als Detektivarbeit herausstellte.
Fotos: FEMNET, privat