Detektivarbeit und Feldforschung in Bangalore – Praktikum bei der NGO Cividep I

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Drei Monate absolvierte die Studentin Clara Hanfland (Kultur- & Politikwissenschaft, Uni Leipzig) ein Praktikum im indischen Bangalore bei der FEMNET-Partnerorganisation Cividep und erzählt hier, was sie dort erlebte – vor allem half sie mit bei einer Studie zum Thema Mutterschutz und Kinderbetreuung in der Textilindustrie. Dies stellte sich als kleinteilige Detektivarbeit heraus.

Die drei Monate im Sommer 2017 als Praktikantin für die NGO Cividep in Bangalore im heißen Süden Indiens vergingen wie im Fluge. Cividep arbeitet an einer Schnittstelle zwischen Recherche und Aktivismus im Bereich Arbeiter_innen‐Rechte und Unternehmensverantwortung für die Textilindustrie wie auch im Leder‐, Tee‐ und Elektroniksektor.

Die Recherchen und Aktivismus in der südindischen Textilindustrie gehörte auch zu meinen Hauptaufgaben. Zum Hintergrund: In Bangalore sind mehr als 1.200 Fabriken der Textilindustrie mit etwa 500.000 Arbeiter_innen angesiedelt, die ein fast unüberschaubares Netz aus Zuliefererbetrieben großer internationaler Fast­‐Fashion‐Unternehmen wie H&M, Zara oder C&A, aber auch Betrieben lokaler Produzenten und Firmen bilden.

Die Arbeitsbedingungen werden seit Jahren scharf kritisiert: Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung, die Löhne so niedrig, dass es kaum zum Leben reicht und der Arbeitsdruck ist enorm hoch. Im Gegensatz zu Deutschland ist es für Arbeiter_innen kaum möglich, sich gewerkschaftlich zu organisieren, da dies systematisch verhindert wird. In diesem ohnehin schon prekären System stellen Frauen eine besonders verwundbare Gruppe dar: Sexuelle Belästigung und Missbrauch am Arbeitsplatz sind oft an der Tagesordnung, sie werden niedriger bezahlt und die Vereinbarung von Beruf und Familie stellt für die meisten aufgrund der kaum vorhandenen Kinderbetreuung eine enorme Belastung dar.

Studie zum Mutterschutz

Da Bangalores Textilbranche zu 80 Prozent Frauen beschäftigt, recherchiert Cividep zusammen mit Partnerorganisationenen wie FEMNET bereits seit einigen Jahren die tatsächlichen Zustände und die Bedürfnisse weiblicher Angestellte in den Fabriken. Nach zwei Studien zum Thema Kinderbetreuung (2012, 2016) verfasst Cividep aktuell eine Aufbaustudie zum Thema Mutterschutz und Kinderbetreuung in der Textilindustrie. Bislang hatten werdende Mütter in Indien Anspruch auf insgesamt zwölf Wochen Mutterschutz vor und nach der Entbindung. Nach der jüngsten Überarbeitung des zuständigen Gesetzes sind es nun sogar 24 Wochen. Doch die Lücke zwischen gesetzlichem Anspruch und Wirklichkeit kann sehr groß sein – genau hier setzt die Feldforschung von Cividep an.

Cividep setzt auf fragebogengeleitete Interviews und auf Gruppendiskussionen mit Arbeiter_innen. Allerdings ist es oft ein langer, steiniger Weg, bis tatsächlich Daten erhoben werden können: Denn die meisten großen Fast‐Fashion‐Unternehmen verweigern die Veröffentlichung der Namen von Zuliefererbetrieben, in denen die von ihnen verkauften Kleidungsstücke genäht und verarbeitet werden.

Kleinteilige Detektivarbeit

In den letzten Jahren gab es zwar einige kleine Fortschritte und international agierende Fast‐Fashion-­Giganten wie H&M oder Adidas zeigen sich transparenter, doch sie bilden noch immer eine Minderheit. Dementsprechend lange dauert es für Cividep in Kooperation mit ihrem gewerkschaftlichen Arm der Garment Labor Union (GLU), in quasi kleinschrittiger Detektivarbeit nachzuvollziehen, in welchen Fabriken die anvisierten Unternehmen produzieren.

Gewerkschaftsfeindliche Atmosphäre

Im nächsten Schritt werden dann Arbeiter_innen rekrutiert, die zu Interviews bereit sind. Gibt es bereits durch die GLU oder vergangene Projekte Kontakte in Fabriken, geht es recht schnell und einfach. Aber ohne bestehende Netzwerke werden die Arbeiter_innen in wochenlanger Kleinarbeit vor den Werkstoren oder auf dem Weg zur Arbeit angesprochen, um sie zu überzeugen. Gerade aufgrund der gewerkschaftsfeindlichen Atmosphäre und dem hohen Zeitdruck in den Fabriken ist es oft schwierig Vertrauen aufzubauen.

Anschließend werden die Daten aufbereitet und der Öffentlichkeit, Unternehmen und lokaler wie internationaler Politik in Form von Studien zugänglich gemacht. Auf der Homepage Civideps sind alle bisher veröffentlichten Recherchen einsehbar. Für die NGO und ihre Partnerorganisationen bilden diese Berichte die Grundlage für Kampagnen, aber auch Bildungsarbeit und Aktivismus in den Betrieben vor Ort.

In Teil II erzählt Clara Hanfland, was sie besonders beeindruckt und was sie über die Lebensrealität der Arbeiter_innen erfahren hat.

Fotos: FEMNET, privat

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