Von Indien nach Berlin: Jeanine Glöyer von Jyoti Fair Works im Interview

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Bei einem Freiwilligendienst in Indien hat Jeanine Glöyer viele Kontakte geknüpft und ist mit einer Idee für eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft zurückgekehrt. Das war vor acht Jahren. In der Zwischenzeit ist viel passiert: Das Label Jyoti – Fair Works wurde gegründet und die Teams in Deutschland und Indien sind gewachsen. Im Interview erzählt sie von den ersten Jahren der Gründung und wie faire Produktion tatsächlich funktionieren kann.

Wie seid ihr auf die Idee zur Gründung gekommen?
Das ist eine lange Geschichte. Ich habe 2008 einen selbstorganisierten Freiwilligendienst in einer strukturschwachen, ländlicheren Region Karnatakas, Indien, gemacht. Da ich von Freunden und Verwandten viel Negatives über organisierte Freiwilligendienste gehört und mir mein Zahnarzt zufällig einige Zeit zuvor von seiner Stiftung erzählt hatte, bat ich ihn um Hilfe. Ich habe in der von indischen Frauen geleiteten NGO Jyothi Seva Kendra (wörtlich: jemandem ein Licht bringen) gearbeitet, die sich hauptsächlich mit der Förderung von Kindern und Frauen der Region beschäftigt, und viele enge Freundschaften aufgebaut – gerade zu Frauen aus dem Ort. Landwirtschaftlich ist es in der Region sehr schwierig, weshalb dort eine sehr große Arbeitslosigkeit vorherrscht. Nachdem ich wieder in Deutschland war, hatte mich das Thema nicht mehr losgelassen und ich dachte darüber nach, welche Möglichkeiten es gäbe, einen Job zu schaffen, der es diesen Frauen erlaubt, ihre Familien zu versorgen und wirtschaftlich unabhängig von ihren Männern zu werden. Ich hatte die Idee, eine Art Nähwerkstatt einzurichten, den Koordinator_innen der NGO vorgeschlagen. Eine Woche später hatten sie mich angerufen und meinten: „Jeanine, wir haben 10 Frauen eingestellt – wie geht’s denn jetzt weiter?“. So kam es zur Gründung.

Ihr seid eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft. Was bedeutet das für Eure Arbeit und welche Unternehmensphilosophie verfolgt Ihr?
Zunächst habe ich als Selbständige gearbeitet, dann aber gemerkt, dass ich es alleine nicht mehr schaffe – ich brauchte einfach Leute, die mitmachen. In Berlin habe ich dann eine Partnerin gefunden, die direkt mit eingestiegen ist. Gemeinsam haben wir dann überlegt, was die richtige Rechtsform für uns wäre. Wir haben zunächst über einen Verein nachgedacht. Uns war aber klar, dass wir auch einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen wollten – also kein Hilfsprojekt, das klassisch Spenden sammelt – und uns dachten: „Hey, die Frauen können ganz toll nähen. Die brauchen kein Mitleid. Die brauchen nur einen Absatzmarkt.“ Eine klassische GmbH kam für uns aber auch nicht infrage, da wir eine nachhaltige Struktur schaffen wollten, die verhindert, dass – falls jemand das Unternehmen irgendwann übernimmt – damit „Schandtaten“ getrieben werden können. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft mit einer Satzung aufzusetzen, in welcher genau festgeschrieben ist, was unser gemeinnütziger Zweck ist und, dass eben nur dafür Mittel aufgewendet werden müssen. D.h. wir dürfen zum Beispiel keine Gewinnausschüttung unter uns machen, sondern müssen sofort alle Gewinne für den gemeinnützigen Zweck einsetzen, der da ist, dass alle Frauen gut bezahlt werden und einen sicheren Arbeitsplatz haben.

Ein bedeutendes Thema für faire Fashionlabels ist die Offenlegung der Lieferkette. Wie garantiert Ihr Transparenz in Eurer Wertschöpfungskette?
Das war zunächst ein komplexes, schwieriges Thema. Als ich damit angefangen hatte, ging es mir nur um die Frauen vor Ort – da war ich 19 Jahre alt. Ich kannte mich in der Textilindustrie noch gar nicht aus und kaufte zunächst die Stoffe auf dem lokalen Markt. Für mich war dann aber schnell klar, dass ich das so nicht mehr weitermachen kann – die Stoffe einfach nur auf dem lokalen Markt zu kaufen, ohne zu hinterfragen, wer dahintersteckt und unter welchen Arbeitsbedingungen gearbeitet wurde. Daraufhin waren wir fast zwei Jahre lang auf Reisen durch Indien und sind wirklich jeden einzelnen Schritt in der Wertschöpfungskette durchgegangen, auf der Suche nach Kleinkooperativen und Familienbetrieben, von denen wir direkt unsere Materialien beziehen könnten. Wir kennen jetzt jeden einzelnen unserer Produzenten entlang der gesamten Kette und beziehen auch direkt von ihnen unsere Materialien, d.h. wir haben unseren Garnproduzenten, der das Garn an die vielen verschiedenen Kooperativen und Familienbetriebe liefert. Diese weben und färben die Stoffe und senden sie uns wiederum direkt zu. Wir stehen mit allen in direktem Telefonkontakt. Das Schöne daran ist, dass genau diese Weberfamilien, die selbst am Webstuhl sitzen, direkt das Geld von uns bekommen, und zwar zu dem Preis, den sie selbst festgesetzt haben – ohne jegliche Mittelmänner.

Ich denke zudem, dass das Projekt auch für größere Unternehmen interessant ist. Immer mehr Konsument_innen möchten mit gutem Gewissen einkaufen – die Zielgruppe ist im Wandel. Außerdem funktioniert die Fast Fashion Industrie auf lange Sicht nicht – der Schaden an Mensch und Umwelt ist nämlich enorm. Als größeres Unternehmen könnte man sich an Fab India wenden, so wie es bereits Gaultier machte. Ziel dieses Unternehmens ist es, Traditionsstoffe wieder Mode werden zu lassen, die zudem in Kleinkooperativen hergestellt werden. Leider konnte das traditionsreiche Kunsthandwerk der Globalisierung und seinen Folgen nicht standhalten und verschwand mancherorts sogar vollständig.

Ihr seid ein großes Team bei Jyoti – eines in Deutschland und eines in Indien. Wie koordiniert Ihr Euch?
Wir stehen in enger Zusammenarbeit mit unserem Team in Indien. Alle wirken indirekt und direkt durch ihre Arbeit auf das Unternehmen, d.h. wenn einer schläft oder sich zu wenig engagiert, beeinflusst es alle. Also wenn wir unsere Arbeit in Deutschland schlecht machen, dann wird das nichts, und wenn sie in Indien schlecht nähen, dann wird das auch nichts. Das ist eine ganz enge Zusammenarbeit. Deshalb gehen wir mit allen sehr offen um und handeln auf Augenhöhe. Wir haben ein gleichberechtigtes Verhältnis. Da unsere Produzent_innen bzw. unser Team in Indien bereits eine intrinsische Motivation mitbringt, müssen wir sie nicht zum Arbeiten bewegen, wie dies vielleicht durch strenge Arbeitszeiten oder Lohnkürzungen in konventionellen Betrieben geschieht.

Ihr kommunziert viel über Plattformen wie WhatsApp oder auch telefonisch. Fahrt ihr ab und an auch nach Indien?
Ja. Wir sind etwa zwei Mal im Jahr vor Ort, zuletzt im Januar 2016, davor im Juli 2015. Meistens ist halbjährlich jemand da, um neue Schnitte einzuführen. Ich kenne die Frauen jetzt seit 8 Jahren. Es besteht ein sehr enges Verhältnis, wodurch Kommunikationsschwierigkeiten gar nicht erst entstehen. Außerdem finanzieren wir durch unsere Gewinne Alphabetisierungs- und Englischkurse für die Frauen, wodurch es sehr einfach geworden ist, auf Englisch zu kommunizieren. Und dadurch, dass wir die Weber, Färber und Garnproduzent_innen alle persönlich kennen, rufen wir uns gegenseitig an oder schicken uns Bilder von den neuen Stoffen. Manchmal sprechen wir drei Mal am Tag, manchmal eine ganze Woche gar nicht – je nachdem, was gerade ansteht. Das ist sehr schön und die Frauen können uns auch erreichen: Wir haben ihnen alte Smartphones zur Verfügung gestellt. So können sie uns schnell ein Foto mit den Mustern oder Vorschlägen schicken. Und wir können direkt darauf reagieren. So ist es für die Frauen einfacher und selbstverständlich geworden, sich auch inhaltlich einzubringen.

Gehen wir doch etwas zurück. Was hast Du studiert und welche Erfahrungen hast Du während der Ausbildung gemacht? Standen Themen wie Nachhaltigkeit, faire Produktion oder Konsumkritik auf dem Lehrplan?
Ja, sehr stark. Ich habe Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Völkerrecht und Menschenrechte an der TU Dresden studiert und mit einem Bachelor abgeschlossen. Dadurch, dass es ein recht kritisch angelegtes Programm war – sowohl politisch, als auch wirtschaftlich – erfuhr ich sehr viel zu konsumkritischen Modellen. Themen wie globale Wertschöpfungsketten, Arbeitsbedingungen, Arbeitnehmerrechte und gewerkschaftliche Organisationen habe ich in meinem Master in Labour, social movement and development an der SOAS Universität in London noch vertiefen können. An der Uni war es die höchste Auszeichnung, kritisch zu sein.

Was sollte in der Lehre in diese Richtung passieren?
Ich weiß von der ESMOD in Berlin, dass sie einen Master in Sustainability in Fashion anbietet. Um in der Textilbranche etwas zu verändern, ist es wichtig, auf diese Themen einzugehen und sie in die Lehrpläne zu integrieren – vielleicht durch ein Modul oder einen kompletten Kurs. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass  Studierenden zwar schon von dem Thema gehört haben, aber eben nicht an der Universität. Viele würden sich das wünschen. Denn gerade als Designer hat man später unglaublich viel Einfluss. Aber um diesen Wandel in Gang bringen zu können, sollte vor allem in der Ausbildung viel Wert auf nachhaltige Materialien sowie Upcycling und Recycling von Plastik gelegt werden. Auch ressourcenschonende und zeitlose Schnitte sollten erarbeitet werden. Anstatt den kurzlebigen Trends nachzueifern, sollte man ein Design entwickeln, das gefällt, bis es auseinander fällt.

Ihr könnt bereits auf einige erfolgreiche Jahre zurückblicken. Welche Tipps könnt Ihr Studierenden geben, die sich nach dem Studium mit einem eigenen Label selbständig machen wollen?
Ich glaube, man braucht eine gewisse Naivität und Gutgläubigkeit und sehr, sehr viel Optimismus, sonst macht man es nicht! [lacht] Nein, also das Wichtigste ist, dass man eine Leidenschaft hat und, dass man genau weiß, was man möchte. Ich denke, „gründen, um zu gründen“, geht meistens schief. Es ist wichtig, einen guten Startpunkt zu haben. Ich habe vor zwei Jahren ein Stipendium für Sozialunternehmer bekommen und war dann mit vielen Gründer_innen zusammen, die verschiedenste Unternehmen im sozialen Bereich gegründet haben. Da war es eigentlich die Regel, dass, wenn jemand für etwas Feuer und Flamme war, die Gründung auch geklappt hat. Nur sollte man bei der Gründung vor allem bedenken: Sich selbständig zu machen, ist wie Heiraten und Zwillinge kriegen. Man ist nicht mehr so schnell raus aus der Nummer. Man lernt natürlich super viel. Wichtig ist, dass man sich da nicht entmutigen lässt und daran glaubt. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mir die Wahl gelassen haben im Sinne von „Ja, ja, mach mal. Du weißt schon, was du tust.“ Finanziell hatten wir das Glück, dass wir ganz am Anfang Spenden an meinem ehemaligen Hamburger Gymnasium gesammelt haben, z. B. über einen Spendenlauf.

Wie können Interessent_innen Jyoti unterstützen?
Bei uns melden sich tolle Leute, die uns unterstützen wollen. Sei es durch Texte schreiben, Fotografieren, Verkauf auf Märkten, Layoutgestaltung, Schnitte, und vieles mehr. Das ist ganz toll! Wir freuen uns sehr, dass unsere Ausschreibungen von so vielen jungen Frauen beantwortet werden. Wir möchten unseren Helfer_innen immer auch etwas zurückgeben und fragen gezielt, was diejenige/derjenige gerne einbringen und was er oder sie im Gegenzug lernen möchte.

Vielen lieben Dank für das Gespräch.

 Das Interview führte Kathrin Glosemeyer, ehemalige Praktikantin von FairSchnitt.

Fotos: Jyoti

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