„Die Dekonstruktion gängiger Werte ist notwendig, um eine zukunftsfähige Modeindustrie zu schaffen und auf Basis von post-materialis-tischer Tendenzen zu erneuern.“ – Vorstellung einer Masterarbeit

Schreibe einen Kommentar
Design Mode Studium

In ihrer Masterarbeit „Mode und kulturelle Relevanz“ beschäftigt sich die Textiltechnologie-Studentin Anna Burst mit der gegenwärtigen Modeindustrie in Zeiten von globalen Veränderungen und neu aufkommenden Werten in der Gesellschaft. Zu welchen Eergebnissen sie gekommen ist und und was das umgekehrte F auf dem Deckblatt ihrer Arbeit bedeutet, könnt ihr in ihrem Beitrag für unseren Blog nachlesen.

Zur Person

Als ich mit Anfang 20 entschied Textiltechnologie zu studieren, wollte ich herausfinden wie Textilien hergestellt und Rohstoffe dafür gewonnen werden. Ich begeisterte mich für Haptik und Herstellungsverfahren. In der Uni lernten wir Werkstoffkunde und Textilchemie. Außerhalb der Uni wurde ich oft gefragt, ob ich denn Modedesignerin sei – offensichtlich wird nämlich das Wort Textil immer mit Mode verbunden und weniger mit dem eigentlichen Werkstoff oder dessen Funktionalität. Mullbinden sind schließlich auch Textilien. Ich hatte nie vor in die Modeindustrie zu gehen. Stattdessen arbeitete ich in der Automobilindustrie und in der Möbelindustrie. Je mehr Erfahrungen ich sammelte, desto mehr sah ich den starken Zusammenhang zwischen Mode und Gesellschaft. Denn Mode ist für jeden so allgegenwärtig, so körpernah, so zugänglich. Und heutzutage vor allem: so billig.

7 Jahre später verabschiedete ich mich also aus der technischen Nische und fing an die Verbindung zwischen Kultur, Gesellschaft und Mode zu verstehen und landete schließlich mit meinem Masterarbeitsthema im Fachbereich Design bei einer Professorin, die meine Person und Intention verstand.

Motivation, Ziel der Arbeit

Die Umbruchssituation des 21. Jahrhunderts wird durch Megatrends wie zum Beispiel Globalisierung 4.0, die 4. industrielle Revolution und den anthropologischen Klimawandel verstärkt. Diese Veränderungen betreffen u.a. Wirtschaft und Politik und erzeugen so neue Werte in der Gesellschaft und ebenso in der Modeindustrie. Auf den ersten Blick besteht zwischen der Modeindustrie und den übergeordneten globalen Veränderungen kein Zusammenhang. In meiner Masterarbeit habe ich jedoch genau diesen Zusammenhang aufgezeigt und analysiert. Öfters habe ich mich in der Zeit gefragt: Wie kommt es dazu, dass Luxusmodeketten das Luxusaushängeschild Pelz auf einmal aus ihren zukünftigen Kollektionen verbannen? Was beeinflusst solch einen Wertewandel innerhalb der Gesellschaft und innerhalb der Industrie?

Das Ziel der Masterarbeit ist die Hervorhebung der bestehenden Verbindung zwischen Mode, Kultur und Gesellschaft, um die Industrie aus einem weiteren Blickwinkel zu betrachten. Es soll gezeigt werden, dass die vorherrschenden Werte in der Mode dekonstruiert werden müssen, um die Kluft zwischen Mode und Nachhaltigkeit zu verschmälern und Mode an die Gesellschaft anzunähern. So soll ein Bewusstsein für den textilen Werkstoff wiederentdeckt und damit die kulturelle Relevanz von Mode in der Gesellschaft betont werden.

Wichtigste Ergebnisse und Diskussionspunkte

Mode als Massenphänomen ist ein durchaus relevantes Thema für die Gesellschaft, gleichzeitig steht es aber für Probleme wie Umweltverschmutzung, ethische Konflikte und Kapitalismus. Dieses Phänomen führte zu dem Entwurf für das Deckblatt der Masterarbeit, das ein Umgedrehtes „F“ wie Fashion zeigt und somit auf die aktuelle fragwürdige Situation der Modeindustrie grafisch anspielt. 

Der Status Quo in der Modeindustrie entstand nicht einfach so. Er entwickelte sich aus Interaktionen mit übergeordneten Ereignissen wie zum Beispiel der Globalisierung und technischem Fortschritt. So profitieren vor allem die westlichen Länder heute von einfachen und günstigen Bedingungen wenn es z.B. das Reisen, Shoppen oder Kommunizieren betrifft. Auch Fast Fashion wurde so bedingt und heizte die generelle Geschwindigkeit und den Trendzyklus in der Mode an. Dabei entstand ein Modekonsument, der an niedrige Preise gewöhnt ist, ethische und umweltkritische Zustände in der Textilkette akzeptiert und ein ständigen Wunsch nach mehr verspürt. Mit dem Durchbruch des Internets entfernte der Konsument sich noch mehr von der Materie Textil, da Mode fortan 24/7 im Netz verfügbar war. So entscheidet das digitale Bild und nicht die analoge Haptik über den Kauf. Hier wird deutlich, dass die Interaktionen mit größeren Phänomenen die Modelandschaft, den Konsumenten und gängige Wertvorstellungen prägen.

Die Case Study beweist exemplarisch, dass gegenwärtig globale Veränderungen die Gesellschaft und die Modeindustrie beeinflussen. Drei Beispiele zeigen verschiedene Umbruchsituationen auf. Das erste Beispiel betrifft die französische Luxusmarke Chanel, die Ende 2018 auf Nachdruck, Pelz aus zukünftigen Kollektionen verbannte. Das zweite Beispiel behandelt die britische Luxusmarke Burberry, die 2018 ihre Überhangkollektion von 29 Millionen Pounds verbrannte, um ihr Image aufrecht zu erhalten. Das dritte Beispiel bezieht sich auf die deutsche Modemarke Closed und fokussiert die Annäherung von Mode und gesellschaftliches Umweltbewusstsein. Insgesamt stellen die Beispiele die gegenwärtigen Luxusdefinitionen, Geschäftsmodelle, die Geschwindigkeit und die Umweltbelastung in der Modeindustrie in Frage. Durch diese Entwicklungen ist in der Gesellschaft eine glorifizierte Wahrnehmung von Mode entstanden, so dass der Markenwert den des eigentlichen Bekleidungsstückes übersteigt und Umweltaspekte und Menschenwürde hintenangestellt werden.

Die kulturelle Bedeutung und den Stellenwert von Mode in der Gesellschaft haben auch Soziologen und Philosophen wie Georg Simmel oder Roland Barthes fasziniert. Dadurch wird die scheinbar unsichtbare Ebene, aber durchaus wichtige Ebene, die zwischen Bekleidungsstück, Gesellschaft und kultureller Bedeutung liegt, betont.

Lösungsansatz

Um eine zukunftsfähige Modeindustrie aufzuzeigen, entstehen aus der Case Study und der Beschäftigung mit der Theorie ein Lösungsansatz, der vier optimistische Imperative aufstellt. Auf diese Weise können dargestellte Herausforderungen verdeutlicht und zusammengefasst werden:

Die Entglorifizierung der Modeindustrie bezieht sich auf das Problem des immer größer werdenden Stellenwertes einer Marke, deren damit verbundenen wirtschaftlichen Zwängen und gleichzeitig auch dem kulturellen Ansehen. Wenn man den Glanz der Mode etwas auflöst, kann der Konsument an die Materie des Textils herangeführt werden und folglich mehr als nur ein Markenlogo sehen.

Die Greevolution fordert vor dem Hintergrund von negativen Umwelteinwirkungen in der trendgetriebenen und schnellen Modeindustrie zu einer grünen Revolution auf! Hierbei sollen Produktion und Pflege der Ware nicht mehr zu Lasten der Umwelt stattfinden und der Umgang mit Mode bewusster, nachsichtiger und nachhaltiger gestaltet sein. 

Die menschliche Verantwortung zielt auf die notwendige Verantwortung, die man als Marke, als Produzent und als Käufer von Mode heutzutage trägt, ab. Diese soll sich vor allem nicht nur auf mögliche Umweltbelastungen, sondern auch auf die ethischen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten in der textilen Lieferkette fokussieren. Schließlich agiert jeder als Mensch.

Der gesellschaftliche Anker gilt als Maßnahme, um die oben erwähnten Imperative in der Gesellschaft verständlich einzuführen und zu vermitteln. Dies ist folglich nur möglich, wenn man Mode für die Gesellschaft verständlicher gestaltet.

Abschließend wird in der Arbeit eine Initiative vorgestellt, die sich für eine größere, juristische Produktverantwortung in der Modeindustrie einsetzt. Bisher existiert noch kein internationaler Standard, der die Marken rechtlich zu einer Produktverantwortung wie zum Beispiel in der Automobilbranche bindet. Entwicklungs- Herstellungs- und Recyclingprozesse müssten so an aktuelle, globale Herausforderungen angepasst werden, damit die textile Kette freier von ethisch, wirtschaftlichen und ökologischen Belastungen wird. Die Verantwortung liegt zusammengefasst nicht allein auf Kundenseite, sondern mehr auf Seite der Marken. Die Mode kann so auf Produktions- und auf Konsumentenseite kultiviert werden und sich vor allem an globale Herausforderungen annähern.  

Daraus ergibt sich die folgende Grafik, die darstellt, dass sich die Fashion Industrie mit Hilfe der vorgestellten Lösungsansätze zu einer zukunftsfähigen Industrie entwickeln kann, die globale Herausforderungen integriert und bewältigt.

Fazit

Die Analyse beschreibt den Status Quo der Industrie als profitorientiert, schnell, umweltschädlich und linear. Der Konsument hat folglich das Textilwissen, das sich hinter einer Marke versteckt, verloren. Eine Dekonstruktion gängiger Werte ist daher notwendig, um eine zukunftsfähige Modeindustrie zu schaffen und auf Basis von post-materialistischer Tendenzen zu erneuern. Die Modelandschaft sollte ganzheitlich betrachtet werden, um nachhaltige Lösungen anzugehen, die Mensch, Umwelt und Wirtschaft vereinen und vor allem respektieren.

Abschließend ist die Masterarbeit eine Möglichkeit, um auch den Stereotypen aufzulösen und mich und meine Leidesgenossen und Nachfolger zu entlasten. Wenn man also das Hauptaugenmerk auf den textilen Werkstoff legt, kann unser Beruf besser verstanden werden und wir müssen uns nicht immer als Nicht-Designer erklären.

Herzlichen Dank für den Einblick in dieses spannende und wichtige Thema!


Portrait: Anna Jaissle

Grafiken: privat

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.