Die Entscheidung gegen Nachhaltigkeit

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Slow Fashion Studium

Wer noch auf der Suche nach einem Thema für die Masterarbeit ist, ist entweder schon hier auf unserem Blog fündig geworden, oder findet noch Inspiration hier: Die Masterabsolventin Natalie Wäsch des Studiengangs Business Management in Würzburg erlaubt uns einen Einblick in ihre spannende Abschlussarbeit. Ihr erster Gedanke: Um Nachhaltigkeit kommt doch heute niemand mehr herum. Jeder weiß, dass Textilien fair und ökologisch sein sollten. Unternehmen können also gar nicht mehr anders, als nachhaltig zu produzieren – richtig? Und was hat Primark damit zu tun?

Mein Thema
Als Masterabsolventin wird man häufig nach dem Titel der Masterarbeit gefragt. Das ging und geht mir ganz genauso. Wenn ich den Titel nenne: „Die Entscheidung gegen Nachhaltigkeit, warum es sich Unternehmen trotz öffentlichen Drucks leisten können, Nachhaltigkeit in Ihren Entscheidungen eine geringe Beachtung zu schenken“, werde ich grundsätzlich erstmal gebeten, den langen Titel zu wiederholen. Nachdem ich ihn nochmal gesagt und ein bisschen erklärt habe, worum es geht, reagieren die Leute positiv.

Quasi jeder findet das Thema aktuell, cool, interessant, realitätsnah und wichtig. Gleichzeitig scheinen auch viele ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Und dabei hatte ich nie die Absicht, irgendjemandem einen Spiegel vorzuhalten oder als Moralapostel aufzutreten. Eigentlich wollte ich nur meine Masterarbeit schreiben. Über ein Thema, das mich interessiert. Ich wollte endlich mein Studium beenden und wenn möglich noch eine gute Note bekommen. Dass ich über „irgendwas mit Nachhaltigkeit“ schreiben wollte, hat sich Laufe meines Masterstudiums ergeben. Die Wichtigkeit des Themas „Nachhaltigkeit in Unternehmen“ war ein ganz selbstverständlicher Bestandteil verschiedener Vorlesungen. Ich hatte den Eindruck, dass man an Nachhaltigkeit gar nicht mehr vorbeikommt. Dass sie in Unternehmen üblich wäre, der Druck der Öffentlichkeit so groß, dass Unternehmen es sich nicht mehr leisten können, soziale und ökologische Komponenten wenig zu beachten. Der Professor der meine Masterarbeit betreute, hat mir dann in einem ersten Gespräch über deren Inhalte die entscheidenden Fragen gestellt, die mich schließlich zu meinem Thema gebracht haben.

Die ersten Fragen

Ist es denn wirklich so, dass Unternehmen aufgrund des öffentlichen Drucks quasi nachhaltig sein müssen? Weil sie sonst Imageprobleme bekommen? Wenn man darüber mal nachdenkt, fallen einem schnell Beispiele ein, die diese Frage verneinen. Vor allem in der Textil- und Bekleidungsbranche. In meiner Masterarbeit habe ich mich gefragt, wie das sein kann. Seit vielen Jahren wird für mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen gekämpft. Durch politische Institutionen, Gesetze und Verordnungen, aber vor allem durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Darum war mir schnell klar, dass die NGO-Arbeit ein Teil meiner Arbeit sein wird. Andererseits fand ich die Konsumentensicht sehr wichtig. Ich wollte also herausfinden, welche Taten von NGOs und Konsumenten zur Entscheidungen von Unternehmen beitragen und wie sie das tun. Welche Wichtigkeit Nachhaltigkeit erhält und nach welchen Kriterien darüber entschieden wird.

Sich all dieses Fragen zu stellen, mag ein bisschen philosophisch klingen. Die Entscheidungstheorie ist aber fester Bestandteil der Betriebswirtschaftslehre. Ich hatte auch das Glück, dass ich sehr frei war in Aufbau und Umfang meiner Arbeit. Ich sollte etwas Interessantes schreiben. Ein halbes Jahr konnte ich mich also mit diesem spannenden Thema beschäftigen. Eine Chance und gleichzeitig eine Herausforderung.

Jetzt wird es konkret

Als aktuelles Beispiel lag für mich Primark auf der Hand. Als ich meine Masterarbeit vor rund zwei Jahren geschrieben habe, waren Berichte über die Fast-Fashion-Kette regelmäßig in allen Medien zu finden. Primark polarisiert. Entweder man liebt oder man hasst es. Zumindest war das mein erster Eindruck. Ich selbst war vor der Masterarbeit noch nie in einem Primark.

Ein bisschen schwieriger war es, die passenden NGOs zu finden. Mir war es wichtig, dass konkrete Projekte in der Textilindustrie zu ihrem Programm gehören. Ich habe einige angeschrieben und schließlich mit dreien zusammengearbeitet. Mit Earth Link e.V., Terre des Hommes und der Kampagne für saubere Kleidung. Sie haben mich sehr unterstützt und mir hilfreiche und interessante Einblicke in ihre Arbeit gegeben. Ohne die Interviews und Zusatzmaterialien, die ich bekam, wäre ich nicht zu den Ergebnissen meiner Arbeit gekommen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Die NGOs und deren Wirkkraft

Warum wirken die Kampagnen von NGOs nicht mehr so auf die Branche ein, wie man das früher kannte? Als Aktivitäten gegen Nike zu öffentlicher Entrüstung führten und das Unternehmen viele, viele Kunden verlor. Warum machen Kampagnen und Proteste gegen Primark das Image der Modekette nicht kaputt und sorgen dafür, dass die Kunden weglaufen? Gerade die Produktion in Bangladesch – von dort bezieht auch Primark einen Teil seiner Mode – sorgt doch regelmäßig für schlechte Presse.

Zum einen setzen NGOs heutzutage vermehrt auf Dialog, Kooperation und Partnerschaft mit Unternehmen. Weiterhin wird es immer schwieriger für NGOs, in einer Zeit der Informationsflut, öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Themen zu erlangen. Die Gefahr der schlechten Presse ist für Unternehmen heute geringer als noch in den 90er Jahren, als gezielte Kampagnen eben unter anderem das Unternehmen Nike in Schwierigkeiten brachten. Wenn es also üblich wird, dass Unternehmen zunächst persönlich angesprochen werden, bevor sie für ihr Fehlverhalten öffentlich angegriffen werden, sinkt das Risiko durch NGO-Arbeit für Unternehmen. Und selbst wenn Konfrontationsstrategien gestartet werden, müssen die Kunden das erstmal mitbekommen. Was sich durch die schiere Informationsflut heute häufig als schwierig erweist. Denn vor allem die Kunden und ihr Einkaufsverhalten sind ein wichtiges Druckmittel für NGOs. Und die Unternehmen wissen das und berücksichtigen es in ihren Entscheidungen.

Die Kundschaft und ihr Kaufverhalten

Mir hat sich von Anfang an die Frage gestellt: Wer kauft bei Primark ein? Über die Produktionsbedingungen müsste doch mittlerweile jeder Bescheid wissen. Dass Kleidung zu diesen Preisen nicht nachhaltig sein kann, muss man sich doch denken können! Dachte ich. Und fand es selbst spannend meine Umfrage unter Primark-Kunden auszuwerten. Und die damit verbundenen Beobachtungen in den Primark-Filialen in Frankfurt und Karlsruhe unter die Lupe zu nehmen.

Bei den Kunden handelt es sich vor allem um junge Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren. Für sie sind zwar vor allem der Preis, aber auch Qualität und Tragekomfort, sowie aktuelle Trends wichtig, wenn sie Kleidung kaufen. Das Budget, das sie dafür zur Verfügung haben, ist unterschiedlich hoch. Nicht nur Konsumenten mit wenig Geld gehen in die Kette – auch wenn der Hauptgrund für einen Einkauf bei Primark der Preis bleibt. Dieser ist jedoch nicht ausschlaggebend, weil man sich nichts Anderes leisten kann. Sondern weil man möglichst viel für sein Geld bekommen will. Die allgemeine Begeisterung für Primark scheint nicht so groß zu sein, wie ich erwartet hatte, da nur rund die Hälfte der Befragten gerne dort shoppen geht. Ich hatte Kritik an der Qualität der Kleidung erwartet, weniger jedoch die häufige Kritik am Shoppingerlebnis. Das vermeintliche Plus, viel Ware für wenig Geld zu bekommen, machen jedoch das Gedränge, die Unordnung, die schlechte Luft wieder wett. Und mehr Befragte als erwartet beschäftigen sich mit der Herstellung der eigenen Kleidung. Das Kaufverhalten wird bei den meisten jedoch nur wenig bis gar nicht durch Kampagnen und Informationsarbeit beeinflusst. Nur Wenige glauben, dass sich ihr Kaufverhalten bei Primark in Zukunft durch weitere Aktionen oder Kampagnen wirklich ändern wird. Viel mehr beeinflusst das persönliche Umfeld, also Freunde und Familie, das Einkaufsverhalten. So lange die Kleidung die man kauft, im persönlichen Umfeld akzeptiert wird, so lange man keine Kritik oder negative Kommentare dafür bekommt, ist es schwierig, das Einkaufsverhalten zu ändern.

Meine Erkenntnisse

Bei meiner Befragung der NGOs habe ich festgestellt, dass deren Auswertung einer beendeten Aktivität für sie nur eine geringe Rolle spielt. Würden die Ergebnisse der bisherigen Aktivitäten bei künftigen Entscheidungen berücksichtigt, könnten Ressourcen sinnvoller eingesetzt und die Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen beziehungsweise die Möglichkeit, Druck auf Unternehmen auszuüben, erhöht werden. Damit möchte ich natürlich nicht sagen, dass NGO-Arbeit nichts bringen würde. Im Gegenteil. Denn gerade in meinen Vorlesungen an der Uni wurden immer wieder Beispiele besprochen, die zeigen, wann Unternehmen nachhaltiger wirtschaften: entweder aufgrund öffentlichen Drucks oder ganz einfach, weil es auch ökonomische Vorteile bringt.
Was ich in meiner Masterarbeit noch behandelt habe: dass trotz des öffentlichen Drucks auf Unternehmen durch NGO-Aktivitäten und schlechte Presse das Thema Nachhaltigkeit dennoch nicht in den Entscheidungen berücksichtigen wird – das hört man kaum. Dadurch ist auch bei mir der Eindruck entstanden, dass es sich Unternehmen gar nicht mehr leisten können, Nachhaltigkeit eben nicht zu berücksichtigen. Ich denke, dass ich da nicht die einzige bin. Man müsste an Universitäten Beispiele wie Primark behandeln und den Studenten die Frage stellen, was man anders machen könnte und dazu anregen, eigenständig darüber nachzudenken. Denn wenn man einmal wirklich damit angefangen hat, bleibt es im Hinterkopf. Mir und vielen meiner Freunde, mit denen ich über die Ergebnisse meiner Arbeit gesprochen hatte, ging es so.
Von den Wellen, die meine Arbeit geschlagen hat, war ich total überrascht. Dass einmal der meistgelesene Artikel auf Spiegel Online von meiner Masterarbeit handeln würde, hätte ich niemals erwartet. Der Kontakt kam über den betreuenden Professor zustande. Zunächst war nur ein Artikel in der Studentenzeitschrift Unicum geplant, doch dann wurde es immer mehr. Bis ich sogar selbst gefragt wurde, ob ich hier einen Blogbeitrag schreiben möchte. Der mir ziemlich schwergefallen ist. Ich neige dazu, viel mit betriebswirtschaftlicher Entscheidungstheorie zu argumentieren und weit auszuholen. Ich bin nach meinem Masterabschluss übrigens weder bei einer NGO noch in der Modebranche gelandet. Aber wer weiß was die Zukunft bringt. Loslassen wird mich die Thematik vermutlich nie mehr.

Wer sich noch mehr mit dem Thema nachhaltige und faire Mode beschäftigen will, findet weitere Informationen auch über die Webseite der Frauenrechtsorganisation FEMNET, wo es beispielsweise eine Übersicht über die Siegel gibt.

Foto: Natalie Wäsch

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  1. Pingback: Fashion Revolution: Warum es so wichtig ist, über faire Kleidung zu sprechen | Mehr als Grünzeug

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